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So manche Krankenschwester krempelt den Stoff ihrer Hose bis zum Knie hoch, allgemein wirken alle mehr angestrengt als noch vor ein paar Tagen. Dem männlichen Pfleger steht der Schweiß auf der Stirn. Die Hitzewelle in diesem Hochsommer scheint so richtig angelaufen zu sein. Manchmal gönnen sich die Schwestern ein Eis am Stiel und bringen Lilly eines mit aus der Kantine. Abgesehen davon, dass es einen neuen männlichen Pfleger auf der Station gibt, dem Lilly imponieren will und sich einmal selbst aufrichtet, besucht sie auch noch täglich der Physiotherapeut.

 

 

Er ist so bemüht, sie so lahm. Sie will, aber kann nicht. Sie freut sich auf diese Stunde des Tages am meisten. Die Muskeln werden so beweglich gehalten. Jedoch kann sie sich nicht einschätzen. Sie bemerkt weder schnellen Puls, noch schwitzt sie und fällt einfach vor Erschöpfung ins Bett zurück. Zuvor fühlen sich ihre Augen feucht an. Es brechen die Zeiten der Abführsäftchen und Mini-Klistier an, weiters beginnt die Plasma-Infusion, die zuerst innere Kälte hervorruft, aber zu einem kurzzeitigen Frische-Kick im ganzen Körper führt.

 

 

Darauf folgt ein nächtlicher Alptraum, in dem ein Mann in einem schwarzen Anzug aus ihrem Körper flüchten will, den sie versucht zurückzuhalten. Die Wirkung verflüchtigt sich bald. Es kommt noch schlimmer: Die Lähmung breitet sich über das Gesicht aus - es ist ihr nicht mehr möglich zu lächeln, reden geht kaum mehr. Sie malt auf ein A4-Blatt einen großen, grinsenden Smiley, um zu umgehen, dass sie nun ständig falsch eingeschätzt wird, wenn sie jemand anspricht, hängt diesen neben ihr Bett.

 

 

Als ihr Sprachvermögen endet, beschließt sie, sich alle Vorgänge zu merken und irgendwann aufzuschreiben. Je schlimmer ihre körperliche Situation wir, desto weniger liegt ihr daran, besucht zu werden. Das Aufrechthalten ist ihr nicht mehr möglich. Sie vergisst mehr und mehr, wer sie war. Gleichzeitig, endet der Mietvertrag ihrer Wohnung und die Älteste verfrachtet sämtliche Möbel in das Jugendzimmer im Haus von Lillys Großeltern. Die Leere lässt sich nicht mehr aufhalten. Eine Tür schließt sich.

 

 

Es gibt noch eine Plasmaspende - welche wieder für einen Frischekick und einen Tag für Verzögerung sorgt. Das Wort Apharese ist ihr Panikpunkt - sie versucht alle Horrorvorstellungen mit ihrem Mantra zu überspielen: 4-6 Wochen, 4-6 Wochen, …

 

 

Niemand kann ihr diesen Vorgang genau erklären - kann vielleicht, aber tut es nicht. Es ist nun unmöglich, Lilly von der Bettkante in einem Schwung auf diesen Leibstuhl zu heben. Sie kann in keinster Weise mehr mithelfen. Alle Tricks und Techniken, die sie ohnehin schon staunen ließen, was alles möglich ist, greifen nicht mehr. Sie hängt nur noch herum, ihr Kopf fällt zurück ins Genick, wie bei einem Neugeborenen.

 

 

Die Krankenschwester gibt auf, das ist ihr zu gefährlich.

 

 

"Dann eben die Schüssel.", beschließt sie und schiebt einen Behälter unter die Decke und unter das Gesäß. "End-Stadium.", stellt die Gelähmte fest.