erste lähmungssymptome

 

Die beiden netten Damen begleiten sie bis zu ihrer Wohnung. "Können wir noch etwas tun für sie?", fragt die eine. Die andere fügt hinzu: "Wir sind Krankenschwestern, wir können sie bis ins Wohnzimmer bringen und dann sollten wir einen Krankenwagen rufen.". Lilly winkt ab, zwingt sich mit aller Kraft ein einfaches Lächeln ins Gesicht und gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Lilly will auf keinen Fall ins Krankenhaus, dafür hat sie keine Zeit.

 

 

Lilly hofft, dass sich dieser Schwächeanfall von selbst wieder erledigt ehest und schaut ihnen nach, bis sie um die Ecke sind, schleift sich entlang der Mauer im Durchgang bis zur Haustür und dann ziehend am Geländer die Treppe hoch bis zur ersten Tür - ihrer Wohnung, sperrt auf, kämpft sich bis zum Sofa vor und lässt sich aus der erhabenen Position in die Kissen fallen, ohne zu Bedenken, dass sie von dort alleine nicht mehr aufkommen wird.

 

 

Sie wartet, schiebt die Seiten eines Modemagazins schwach von rechts nach links, am Handy sucht sie die Nummer des diensthabenden Notarztes raus, ruft aber nicht an, weil sie nicht sicher ist, ob ihre vor kurzem angemeldete Sozialversicherung für Selbständige schon aktiv ist, denn meisten gibt es da Mindestmeldezeiten bis der Versicherungsschutz eintritt. Lilly sitzt und wartet.

 

 

Die Älteste hat sich gerade eine eigene Wohnung zugelegt, doch die drei jüngeren sollten bald auftauchen. Es klingelt. Unvorteilhafterweise ist es der Kleinste. Er klingelt noch einmal. Lilly hofft, dass er nicht sofort wegläuft und versucht sich aufzustellen. Es gelingt nicht. "Hallo Sam!", schreit sie laut, damit er sie vor der Tür hört. Es klappert der Briefschlitz, wo er ins Vorzimmer guckt. "Bleib hier! Ich kann nicht aufstehen. Bibi kommt gleich. Warte solange!" schreit Lilly. Sie hört, wie er die Schultasche abnimmt, am Boden fallen lässt.

 

 

"Oh Gott, was für ein Jammertal.", seufzt sie, als sie ein Kissen runterwirft, um sich dann vom Sofa aus abwärts darauf rutschen zu lassen und ihr Hinterteil nun mit raupenartigen Bewegungen bis in die Toilette befördert, dort jedoch feststellt, dass die Klomuschel weit erhaben und unerreichbar liegt, wie die besten Äpfel am Baum. "Was jetzt?", überlegt sie.

 

 

Zumindest hat sie Blickkontakt mit ihrem Sohn, der durch den Brief-Einwurf guckt und kann ihm vorschlagen, vielleicht kurz in den China-Laden zu gucken, um sich Glückskekse oder Wasabi von Herrn Chang zu holen, oder die Treppen hochzulaufen, um bei seiner Spielkollegin zu klopfen. "Benita kommt bestimmt gleich.". "Aber ich muss mal.". "Was? Du auch? Geh über die Straße zur Tanzschule.", schlägt sie vor. Das macht er.

 

 

Zum Glück, denn Lilly will nicht, dass er sie so sieht. Benita kommt überraschend früher nach hause. Sie sperrt die Tür auf und sieht Lilly am Boden sitzen, legt ihre Tasche auf den runden Tisch im Vorraum und fragt, was los ist. "Tja, ich kann nicht aufstehen.". Benita zieht sie hoch. Lilly steht zumindest wieder und in dem kleinen Raum ist es schwer, umzufallen.