"das wächst wieder zu..."

 

 

 

Lillys Blick fällt über die Schulter des Arztes auf eine offene Tür, hinter der die Freiheit liegt. "Ich will raus hier." war also nun ihr erster Satz nach der Abnabelung von der Beatmungs-Maschine. Er ist zufrieden mit dem ersten, gehauchten verbalen Etwas, klebt das Loch am unteren Halsende ab und lacht erleichtert, munkelt etwas von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus." und verrät damit viel über seine privaten Fernseh-Gewohnheiten. Lilly schmunzelt fast über seine banale Menschlichkeit, die ihn ein wenig sympathisch macht.

 

 

"Er hat wohl auch ein wenig viel damit zu tun gehabt, dem Virus entgegenzutreten und mit den richtigen Interventionen und Maßnahmen mein Leben zu retten, dann darf er auch Serien gucken.", gesteht sie dem Gott in Weiß zu. "Was muss ich tun, damit sie wieder aufstehen wollen?", war dann die Frage des Tages, die ihr lange nicht aus dem Kopf gehen wird und augenblicklich sehr starke Segel auf dem erstarkten Schiff ihres neuen Lebens aufzieht.

 

 

Ihre Stimme klingt anders und ist gewöhnungsbedürftig, die Arme sind wieder beweglich, Seitendrehung im Bett ist nach wochenlanger, ausschließlicher Rückenlage wieder möglich - führt aber zuerst mal zu Schwindel und Übelkeit.  Die erste selbständige Drehung im Liegen gehört zu den schönsten Erlebnissen dieser Tage. Ab jetzt liegt sie nur noch rechts oder links. Es tut alles wieder, was sie möchte. Wille und Aktion sind befreit von dieser giftigen Bremse und Lahmheit namens GBS.

 

 

Das Loch im Hals sorgt für gemäßigten Spaß, nämlich dann, wenn links und rechts vom Verband Luft entweicht, wenn sie sprechen will und sich der weiße, viereckige Lappen flatternd auf- und abhebt. Vor allem, wenn die Klip oder Seelsorge anwesend ist, macht sich Lilly Fun aus ihrem Gekrächze, wenn sie lacht, worauf dann mitfühlendes Bedauern folgt, wie: "Der Verband kommt ja wieder weg und man sieht dann kaum mehr was davon.". Dabei löst es bei Lilly selbst nur mehr Heiterkeit aus, weil sie ja weiß, sie geht hier im August zu 80 bis 100 Prozent geheilt wieder raus. "Und ihr bleibt hier drinnen.", was sie dann noch mehr amüsiert.

 

 

Beim Schlucken muss sie noch sehr aufpassen, dass die Spucke in die richtige Kehle gerät. Das Gesicht beweg sich noch überhaupt nicht. "So muss sich Botox anfühlen.". Ihre Stirn und Wangen sind superglatt, wie gebügelt - keine einzige Falte unter den Augen. Manchmal gelingt es zufällig, das rechte Augenlid zu schließen. Lachen macht wieder mehr Spaß, wenn es nicht immer so stumm innen verhallt.