intensiv-station

 

 

 

Die Person greift mit Handschuhen her, macht etwas auf, oder zu. "Klebt da etwas?". Als sich die Person entfernt, bleibt das Harte. Es fühlt sich an, wie eine zweite Halswirbelsäule. Es scheint sich herumzusprechen, dass sie wach ist, denn hin und wieder huscht wer an der Tür vorbei und wirft einen kurzen Blick ins Zimmer. Lilly erinnert sich an ihren Zeitplan und sucht nach einem Kalender.

 

 

"Haben sie gut geschlafen?", fragt mich eine. Lilly nicke ein wenig, obwohl sie sich nicht daran erinnert, geschlafen zu haben. Die Uhr über der Tür zeigt die Tageszeit an. Die gewohnten Mahlzeiten, Wasch- und Trainingsplan scheint es nicht mehr zu geben. Auch sonst tut sich hier  nicht viel. Der Tag verläuft in die Nacht - ohne Trinken, Essen, Toilette, waschen, Ansprachen, ohne Atmen.

 

 

Sie fühlt Ungeduld, Ärger, Informationsnot und ist ein wenig überrascht darüber. Sie spürt an der Haut zwischen ihren Oberschenkel-Innenseite etwas liegen. Erstens, wundert sich Lilly, dass sie mit ihrer Hautoberfläche wieder "sehen" kann, zweitens möchte sie gerne wissen, was es ist. Sie kommt sich neu vor, ungebremst. "War es das?", um sie herrscht reges Treiben.

 

 

Sie beobachtet und imitiert. "Bin ich noch gelähmt? Oder könnte ich mich bewegen, wenn ich wollte?". Der Stecken im Hals hindert sie daran, sich frei zu bewegen, aber sie spürt, dass es sie stört. Das ist eine Empfindung. Sie bemerkt die vielen Nabelschnüre, die zu den Maschinen und Monitoren hinter ihr führen, welche an ihrem Bauch und Oberkörper kleben oder auf die Fingerspitze angeklemmt sind.

 

 

Nachts tut sich hier nichts. Die Nacht dauert von 17.30 abends bis morgens um 9.00 Uhr. Dann nähert sich ein Arzt meiner Tür, betritt den Raum, greift zu dem Blatt am Fußende, betrachtet ausschließlich, den Teil zwischen Kinn und Brust, als wäre da etwas Wichtiges, spricht lediglich mit der Schwester konzentriert über Aufzeichnungen, Nummern, Millimeter. Ein weiterer dicker, transparenter Sack mit klarer Flüssigkeit, wird angehängt und tropft kühl und langsam über einen Schlauch, der zur linken Brust führt, in sie hinein. "Gibt's hier keine Mahlzeiten? Niemand spricht mit mir?".

 

 

Unter ihrer linken Schulter reibt etwas an dem weißen Stoff ihres Kittels. Diese Stelle wird auch immer wieder von den Personen hier kontrolliert. "Jetzt kommt die Maschine nicht mehr zu dir", kommentiert eine Person, links von Lilly, die verhasste Kälte in ihren Adern, die nach dem Anschalten der Blut-Wasch- Maschine ihren Körper gefrieren lässt, während sie die Verbindungen von dem angenähten Katheder an der linken oberen Brust, der einem Sicherungskasten im Auto und der Größe eines C6-Kuverts ähnelt, frei gibt.

 

 

Sie befinden sich in einer Art Keller oder Parkhausetage, ähnlich einem Vernehmungszimmer des FBIs, und am Anfang der letzten Apharese-Behandlung des zweiten 5er-Zyklus. Lilly ist immer noch stumm, doch kann mit den Augen wieder eine Art Zustimmung, Freude oder Zweifel vermitteln und auch selber fühlen.