maximale dehnung

 

 

 

Eine der Ergotherapeutinnen hat sich inzwischen eine andere Patientin zuweisen lassen, weil sie mit Lilly nicht klarkommt. Lilly findet das gut, sie fühlte sich gelangweilt mit deren Fein-Motorik-Übungen. Auch die Physiotherapeuten werden ungemütlicher, ungeduldiger. Sie wollen ihr Behandlungsziel erreichen. Lilly lässt sich aber nicht hetzen, sehnt sich insgeheim nach ihrem Stamm-Fitness-Tempel, wo sie fitte, muskeldefinierte Leute als Trainer hat, die den Mr. Fitness-Titel abstauben und auf Berggipfel steigen, wie Wildgämse. 

 

 

Was soll sie von diesen überfressenen, unbeweglichen, rauchenden Leuten hier lernen. Sie interessiert sich nicht mehr für ihre Therapeuten und sieht keine Vorbilder in ihnen. Abends hält sie sich lieber alleine am Ergometer auf. Eine Therapeutin meinte es wieder mal übermäßig gut, als sie mit Dehnungs-Übungen anfing. Das sei wichtig, meint sie. "Wie ein Zirkushund.", sieht sich Lilly, wenn sie eine Stunde lang nachmacht, was ihr diese Dame vormacht. Obwohl sie versucht ihren Disrespekt nicht zu zeigen, schmeißt die Dame ihre Nerven weg und läuft hilfesuchend zu ihren Kollegen. Lilly ist das recht, jede weitere Minute mit ihr wäre vergeudete Zeit gewesen.

 

 

Die nächste schlägt in dieselbe Kerbe, weil das Personal unbedingt auf diesem Plan festhält, der wahrscheinlich nicht für jeden gleich ist. Wenn ein Patient ein ungutes Gefühl bei gewissen Dingen hat und noch nicht so weit ist, sollte man lieber abwarten. Lilly soll sich auf ihre Schienbeine knien, und mit dem Gesäß auf die Fußgelenke Druck ausüben - sie zögert. "Das kann nicht gesund sein.", sagt sie zur Therapeutin. "Wir wollen maximale Dehnung.", ermahnt die Frau. "Na gut.", gibt Lilly klein bei, weil sie nicht diese Dame auch noch zum Verzweifeln bringen will. Es macht einen Ruck in ihrem Fußgelenk, wie ein Reißen. Sie drückt weiter. "Maximale Dehnung.". Ihr steht der kalte Schweiß am Rücken, die Wangen erröten, die Augäpfel werden feucht, aber Lilly sitzt auf ihren Fußgelenken.

 

 

Als die Therapeutin ihre körperlichen Reaktionen bemerkt, hilft sie Lilly auf, beendet die Stunde vorzeitig, lässt sie mit einem Rolli zum Bett bringen. Abends möchte Lilly ihre einstündige Wanderung am Gang losstarten. Der linke Fuß lässt sich nicht richtig bewegen. Sie schleift ihn bis 23.05 nach. Ihr Gesicht ist rot, als sie sich im Glas, des Schwestern-Kubus betrachtet. Sie hat auch mehr Herzklopfen als normalerweise beim Spazierengehen. Schon nach einer Stunde muss sie sich zurück zum Bett begeben.

 

 

Bei der Kontrolle durch die Ärztin am nächsten Morgen fällt das geschwollene, gerötete, unbewegliche Fußgelenk auf. Diese lässt es sofort kühlen und einbandagieren. Unauffällig wird zwischen die Therapiestunden ein Röntgentermin eingeplant. "Und, was hab ich da?", will Lilly wissen. "Das kann schon mal vorkommen. Sie bekommen Salben und Kühlung.", beschwichtigt der Facharzt. Noch 3 Wochen nach Entlassung ist der Fuß an Nachschleifen.