physiotherapeutisches know-how

 

 

Ausgeklügelte Übungen am Stepper sollen in der Physiotherapie Balance bei seitlichen Bewegungen einüben, dabei sieht sie sich nach langen Wochen wieder einmal im Spiegel. "So sehe ich also aus.". Sie atmet so tief sie kann durch. Ihr Blick wandert von der Frontansicht, noch mit einem großen Pflaster am Hals, über die erschlafften Gesichtszüge, die eingefallene Brust, an der schmale Schultern und abgemagerte Arme hängen, über den flachen Bauch und der Rücken hängt an der Wirbelsäule, anstatt eine aufrechte Haltung darzustellen.

 

 

"Irgendetwas stimmt noch nicht. Wie kann ich so flach sein? Wo ist meine Kraft hin?", versucht sie sich neu kennenzulernen, die veränderte Körperwahrnehmung mit ihren veränderten Grenzen nach außen abzuspeichern. Sie möchte lieber ein wenig mehr Platz in ihrem Leben einnehmen, nicht wie ein Strich durch die Gegend schweben. "Legen sie sich am Rücken.", weist mich der Therapeut an. Sie platziert sich auf der breiten Massageliege, wird hochgefahren und an der Stelle über der Hüfte hin zu den Rippen, hoch zur Achselhöhle abgetastet. Es kitzelt nicht.

 

 

Er drückt gezielt zwischen den seitlichen Rippen etwas tiefer ins Gewebe. "Da war schon lange niemand mehr.", kommentiert er, als sie leicht wegrückt, um dem Druck zu entgehen. Ihr ist plötzlich zum Heulen, weiß aber nicht warum. Auf Nachfragen erklärt er ihr etwas über die Lunge, was sie immer noch nicht interessiert, da sie gar nicht richtig wahrgenommen hat, was nun eigentlich passiert ist in der Intensiv-Station - vor allem nicht, dass man nach etwa 3 Minuten ohne Atmung bereits bleibende Schäden davonträgt oder schon verstirbt.

 

 

Bescheid zu wissen, würde heißen zu verstehen, dass ihr das Leben gerettet wurde. Dies ging an ihr vorbei - sie fokussierte so fix auf die erste Augustwoche. Erklärungen und Aufklärung fanden nicht statt, da sie es auch nicht mehr verstanden hätte, da im Siechtum keine Meinung oder ähnliches mehr vorhanden waren und danach in der Sedierung auch nicht.

 

 

Wenn man nicht gerade Raucher ist, hat man mit der Lunge nicht so viel zu tun, außer, dass sie vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug wie selbstverständlich funktionieren soll. Wie bei den Gehübungen bekomme ich auch hier ein Doppelpack - die Therapeutin übt gekonnte Griffe tief ins Gewebe der Wadenmuskulatur aus, was Lilly wieder ein Stück nach vorne bringt im Körpergefühl.

 

 

Nach ein paar Tagen lässt ein saftiger  Muskelkater grüßen - dagegen hilft Magnosolv, Fourti Fit und ein Sauerkirschensaft von zuhause. Gekonnt verklebt der Therapeut jeden einzelnen größeren Muskel in der Stellung, die am wenigsten schmerzt, fest. Sie schreitet ganz anders vom Praxisraum ins Zimmer, als sie hingegangen ist.

 

 

Aufrechter. Entspannter. Auch bunter - was ihr wieder Lust auf farbige T-Shirts macht und ihre Stimmung hebt. Sie trägt wieder Leggins und T-Shirt, statt Krankenhauskleidung, weil sie inzwischen ihre Füße und Beine selbständig in die schmalen Hosenlöcher einfädeln kann.