aufnahme

 

 

Verschiedene Abfragen und Empfindungstests werden an ihrem bewegungseingeschränkten Körper durchgeführt und entreißen ihr die letzte Hoffnung, einer stationären Aufnahme zu entgehen. Es scheint, als denke ich zwar, aber die Muskeln hören mich nicht mehr. Es soll sich um eine "aufsteigende Lähmung aufgrund fehlender Reizleitung der Nerven" handeln, die genauer untersucht werden muss. Zumindest steht es so auf dem Zettel, der Lilly auf den Schoß gelegt wird, bevor man sie wieder auf den Gang fährt.

 

 

"Moment. Ich hör was: Es ist mein Leben, dass von draußen nach mir ruft.", motzt sie. Die Krankenschwester hört Lillys Leben nicht rufen und schiebt sie in ein Zimmer. Es wird immer schwieriger, den unbesiegbaren Willen zu kompromissloser Revolution aufrecht zu halten.

 

 

"Nein, ich ziehe nicht ihre sterile Krankenhauskleidung an und lege mich in dieses Bett. Wir alle wissen, was dann passiert.", streitet sie mit dem jungen, gepflegten Arzt, mit ebenmäßigen Gesichtszügen und spitzem Mund, der während des ganzen Desasters als einziger nach ihren privaten Umständen fragt.

 

 

"Dann stehen sie doch auf und gehen sie. ", kontert er mit einem Ass. Sie gibt ihm eine Antwort: "Ich bin Mutter von 4 Kindern, sollte heute meinen Dienstvertrag unterschreiben, suche fürs Wochenende eine Praxisgemeinschaft, aber eigentlich will ich nach Hongkong zurück zum weltgrößten Kriegskampfschiff mit den 5000 Matrosen, die an einem Tag an Land gehen und darüber berichten."

 

 

"Da haben sie ja noch viel vor heute.", nervt er sie mit seinen gut gespielten Matchbällen. Sie sieht ihren revolutionären Kampf- und Pioniergeist eingeschüchtert und unbeweglich in einer kahlen Ecke ihrer verbliebenen Denkstätte kauern. So laut sie auch ruft, er scheint sie nicht zu hören, weiß nicht, was er tun soll. "Soweit zu Geist muss über den Körper herrschen."

 

 

"Nach ersten Informationen handelt es sich bei ihrer Erkrankung um einen Virus, der bereits in den Organismus eingedrungen ist und die Empfänger- bzw. Leitersensoren an den Nerven zerfrisst, die zuständig sind für die Umsetzung mentaler Impulse.". Sie hört auf, gegen Gespenster anzukämpfen. Jetzt, wo sie weiß, was mit ihr passiert ist, ist es leicht, den Ist-Zustand hinzunehmen.

 

 

Sie lässt sich bettfertig machen und auf diese Liege auf Rädern setzen, sich die Fernbedienung für die Hebe- und Senkmechanik in die Hand geben und tut ihren Kindern gegenüber so, als würde es ihr Spaß machen, die Lehne auf- und ab zu bewegen. Das wird den beiden irgendwann langweilig. Sie wollen nach Hause gehen. Als sie den Raum verlassen, hat Lilly das Gefühl des Versterbens. Sie will so schnell wie möglich durch das Fegefeuer und die Rituale der Entmächtigung beginnen: Kanülen legen, Infusionen anhängen, Schlaftabletten liegen neben dem portionierten Wasserglas, die Unterwäsche wird auf Krankenhaus-Ausführung gewechselt, Puls-, Blut- und Temperaturmessungen, Abhören, Spritze in den Schenkel oder Bauch, Licht aus.