die dinge verändern sich

 

 

Lilly hat zum ersten Mal in ihrem Leben nicht mehr den dringenden Wunsch sich kommunikativ mit ihren Mitmenschen auszutauschen. "Seit wann bitte, kann ich still sein.". Sie wundert sich sehr über ihr eigenartiges, wesenfremdes Verhalten und nicht nur das - ihre Sicht auf die Dinge hat sich auch verändert.

 

Wo sie normalerweise positiv überschwänglich, mitreißend auf ihr Umfeld zugeht, bemerkt sie, kritische Gedanken, bevor sie spricht und aufgrund dessen, besser nicht spricht.

 

 

"Das bin nicht ich." beobachtet sie diese ungewohnte Art ihrer Ausdrucksweise, oder in dem Fall Nicht-Ausdrucksweise. Seit mehr als 15 Jahren trifft sie Lehrkräfte bei Elterngesprächen, bei Elternabenden, und zum ersten Mal ist ihr egal, was die Person von sich gibt.

 

 

Sie hat nicht mehr den Drang, dieser Lehrkraft helfen zu müssen, was sie normalerweise schon verspürt. In diesem Moment würde sie ihrem Gegenüber nicht mal aus einer Schlangengrube helfen, wenn sie selbst so ungeschickt ist, reinzufallen - und das nach 15 Jahren ehrenamtlicher Elternvereins-Arbeit.

 

 

Lilly schüttelt den Kopf, als möchte sie diese inneren Bilder von sich abwerfen, was nicht gelingt. Im Gegenteil - sie bemerkt die kalten, roten Finger dieser kreidebleichen Person mit dem sich davon krass abhebenden tiefschwarzen Haar. "Witch." schießt es ungewollt durch ihren Kopf. "Was ist los mit mir?". Sie bricht das Gespräch ab. Es hat keinen Sinn beider Zeit zu verschwenden. Sie entfernt sich aus dem düsteren Schulhaus, erreicht passenderweise den Linienbus, der sie direkt zum Altersheim der Großmutter bringen soll.

 

 

Das Einsteigen ist beschwerlich. Sie sieht, wie ihre Beine, die in den überteuerten Stilettos stecken, die drei Stufen zum Busfahrer rauftreten, hat aber nicht das Gefühl, das zu steuern. Die Bustür schließt hinter Lilly. Sie bleibt gleich vorne beim ersten Sitz stehen, umklammert die Haltestange. "Warum mach ich das?" führt sie einen inneren Dialog mit sich selbst, als wüsste das Gehirn nicht mehr, warum die Hand sich da festhält.

 

 

Die Oberschenkel zittern leicht. Der Busfahrer wirft einen Blick auf sie. Er schaltet in der Kurve beim langgezogenen Anstieg nicht runter, um das Tempo halten zu können. Maximal 10 Km/h. "Haben sie da keine Terminschwierigkeiten?". "Der Turbo ist ausgefallen.", erklärt der geduldige Mann die Situation. Sie hebt die Augenbrauen, fragt sich entsetzt, wie sie in diesen Film kommt. "Hey, das ist nicht mein Programm!", ruft sie innerlich um Hilfe.

 

 

"Hier können sie raus. Ausnahmsweise.", winkt er mit der Hand zur geöffneten Bustür, direkt vorm Altersheim. Sie hat Schwierigkeiten ihre zwei Beine über die drei Stufen runter zu koordinieren. Ihre Hände wollen die Stange nicht loslassen. Lilly zieht die Finger der Hand mit der anderen Hand von der gelben Halterung ab. Mit dem Gefühl, die Schuhsohlen mitzuschleifen bei jedem der Schritte, und einem Blick, der nicht hören kann, kämpft sie sich bis zur Eingangstür, wo ihr Vater wartet.