neu aufgestellt

 

 

 

"Wie soll das gehen?" schüttelt Lilly den Kopf und meint, sich verhört zu haben. "Ich soll selber stehen?". Die Schwester steht schon bereit vor ihr: "Ich halte sie. Vertrauen sie mir.".  "Ist er nun endlich da, der Tag, an dem ich aufstehen darf und auf den ich seit 5 Wochen warte?", staunt Lilly nicht schlecht und ist augenblicklich erfüllt von einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. "Stehen?", fragt sie nochmal nach und rutscht weiter nach vorne an der Bettkante, stellt ihre Füße, die wie immer in diesen kuscheligen, farbigen Krankenhaussocken stecken, am Boden ganzflächig auf. Sie hilft Lilly auf, die wankt.

 

 

"Sie stehen selber.", während sie mich zwar festhält, aber das Gewicht auf meinen Beinen hält. "Ja. Tatsächlich.", freu ich mich mit ihr. Schon nach kurzer Zeit ist Lilly erschöpft und etwas schwummrig im Kopf, weil sie sich schon so lange aufrecht hält. Das Liegen ist zur Gewohnheit geworden. Lilly heult. Die Schwester heult mit. Sie will sich nicht mehr hinlegen, muss aber. Ganz allein könnte sie nicht eine Sekunde stehen. Die Schwester geht und hinterlässt mit ihrer Stand Up-Aktion den Knaller des Tages. 

 

Der Abenddienst kommt.  Das Haar des jungen, mageren, großgewachsenen Latino-Pflegers, der mit leichtem Schritt, durch die Gänge huscht, ist zurechtgestutzt - die dunkelbraunen Wuschellocken um sein gebräuntes Gesicht, gehören der Vergangenheit an. Er schiebt die Tür weiter auf, grüßt, fragt, ob es mir nun besser geht. "Ja, scheint so.", flüstere ich ihm entgegen, während er hinter meinem Bett etwas vom Gerät hinter mir entfernt. "Haben sie es nicht mehr geglaubt?". "Doch. Immer."

 

 

"Sie haben etwas, was eine andere Frau dringend brauchen kann.", trägt etwas raus aus dem Zimmer und weg ist er. Ich entspanne mich ein letztes Mal vorm kleinen Fernseher und stelle fest, dass sämtliche künstlichen Zu- und Ausleitungen wieder geschlossen sind. "Endlich frei", freut sich Lilly, als sie hört, dass sie um 14.00 Uhr wieder dorthin verlegt wird, wo sie herkam.

 

 

Inzwischen ist  Lilly mit dieser selteneren Virus-Erkrankung zu einer kleinen Berühmtheit im Krankenhauskomplex geworden und so manche Schwester hat am Computer mitverfolgt, wie es um Lilly in der Intensiv-Station steht. Einige haben sich richtig Sorgen gemacht über den rasanten Verlauf mit der Atemlähmung. Als sich die gesamte Belegschaft derart freut über Lilly und, dass sie sie wieder zurückbekommen, wird ihr erst so richtig klar, dass die Intensiv-Station die letzte Station vor der Pathologie ist.

 

 

Sie wird begrüßt, gewogen, abgecheckt, wie bei einem kleinen Volksfest. Deren Freude steckt Lilly mit Gefühlen an, die sie nicht erwartet hätte. Vier Kilo hat sie in den drei Wochen Intensiv-Station dort gelassen. "Was bekommen sie für Medikamente?", fragt die Schwester mit dem kärntner Dialekt. Lilly antwortet stolz: "Keine. Und ihre Thrombose-Spritzen werde ich auch bald nicht mehr brauchen." Ihr Bett steht direkt am Fenster, der Geruch ist vertraut.