netter besuch

 

 

Die Stunde mit der klinischen Psychologin findet auf der sonnigen Terrasse statt. Es ist alles gesagt, Lilly fällt nichts mehr ein.

 

 

Nach ihrem Kommentar - noch auf der Intensiv-Station - wo sie meinte, dass man sich trotz allem die Haare waschen, kämmen und die Beine rasieren kann, während Lilly versuchte, sich soweit aufzurichten, dass sie durch die trüben Seeschlitze überhaupt deren Gesicht erkennen kann, ohne eines der fünf oder mehr Klebedinger auf ihrem Bauch, das Puls-Kontroll-Fingerhütchen, die Infusionskanülen an jedem Handgelenk und Ellenbeuge, den neugestochenen ZVK, den mitatmenden Verband des frisch entfernten Tracheostomas am Hals zu verrutschen.

 

 

Den ersten Platz in der Rangfolge der Überflüssigkeiten in ihrem Aufenthalt hat jedoch die, ebenfalls selbst gebuchte, Seelsorge fest im Griff. Das Beten bei künstlicher Flamme dieser elektrischen Kerze war ebenso abstoßend und irre, wie die künstliche Beatmung selbst.

 

 

Anfangs dachte sie, jeder zusätzliche Kontakt würde ihre Tage aufhellen, sie ablenken, aber dies war dann nicht so in diesen Fällen. Hingegen überrascht sie ein lieber Freund mit einem Besuch, den sie nicht erwartet hat - er aber schnell herausfand, wo sie untergebracht ist. Er strahlt, wie die heiße Sonne vor den Fenstern, ist fit und sportlich wie immer, sein Schritt sicher und flink, er kündigt sich im Foyer schon an, wie Lilly es auch tun würde und fragt sich offensiv-kommunikativ zu ihr durch. Weiße Hose, hellblaues Hemd aus luftigem Leinen betonen die gebräunte Haut.

 

 

Er ist nett, höflich - sprüht vor ansteckender Begeisterung, dass er mich gefunden hat. Sie genießt seine Intelligenz, seine immerzu gleichbleibende, unumstößlich höfliche Art zu kommunizieren, die sich durch geschickte Wortgewandtheit auszeichnet. "Ich sehe aus wie der letzte Mensch.", begrüßt sie ihn in schwarzen Leggins, T-Shirt, ihren Socken, ungeschminkt und mit dem riesigen Verband am Hals.

 

 

"Ich freu mich aber, sehr sogar." schiebt sie hinten nach und herzt ihn. Er ist stets Herr über seine Sinne, egal, was für Emotionen sich den Weg durch die gesellschaftlichen Reihen bahnen. Souveränität und Gelassenheit, die sich ihrer verbalen, nur bei dringendem Bedarf auf einem Silbertablett präsentierten, Macht bewusst ist und sie jedes Mal ansteckt, wenn er sich in ihrer Nähe befindet. Demnach harmonischem Umgang lechzenden Teil ihrer Seele tut seine Anwesenheit gut, wie ein zartes Streicheln sanfter Hände über Oberarm, Schulter und Genick bis über den Haaransatz am Hinterkopf.

 

 

Sie freut sich einfach. Beide gehen bis zur Terrasse, nehmen die einzigen freien Plätze. Er weiß nicht, dass er einer der drei Männer ist, mit denen sie jemals geschlossen getanzt hat und der einzige, der ihr sogar noch einen zweiten Tanz abringen konnte, weil es sich mit ihm so leicht anfühlte. Sie zieht ihre Beine hoch auf die gerippte Sitzfläche, legt ihre Wange auf das Knie, ist einfach glücklich über so viel Bewegungsfreiheit.