wartephase

 

 

 

"Das kann doch alles nur ein Irrtum sein.", jammert die Neo-Patientin, während sie im regungslos im Bett liegt, die andere im Zimmer, jedoch mit ihren Krücken selbständig bis zum Badezimmer gehen kann. Sie findet deren Konversation langweilig und will schon gar nicht sehen, dass sie eigenständig im Zimmer herumgeht. Lilly lässt sich so gut es geht nach links rollen und zieht ihren rechten Knieknochen über den linken - nicht zu weit, sonst kippt sie um - das eine Bein muss genau auf dem anderen liegen, damit die Seitenlage hält. Vor ihrem Gesicht befindet sich nahe dem Gitter vor Augen und Nase und die dahinter die Wand des Zimmers.

 

 

Obwohl sie weiß, dass sie am Schwesternruf drücken muss, um wieder auf den Rücken gelegt zu werden, ist ihr diese Position lieber, als die Bettnachbarin zu sehen, wie sie herumspaziert, Licht anschaltet, Tür öffnet, selbständig im Bad verschwindet, da auch wieder rauskommt, ohne dass ein Pflegepersonal davor auf sie waren muss. Sie ist nur noch ein Hautbeutel, mit Knochen drinnen, die durch Sehen und Muskeln verbunden zusammenhängen. Man kann sie hin- und herdrehen, wie einen Kartoffelsack.

 

 

Das Wichtigste momentan ist der Schwesternruf, deshalb guckt Lilly immer besonders drauf, dass der in Reichbarkeit hängt. Noch kann sie ihre Unterarme selber anheben, die Handgelenke und Fingern bewegen, ihren Kopf leicht nach links oder rechts wenden. Tränen kommen keine mehr, da es dafür wahrscheinlich Gefühle braucht, deshalb bekommt sie regelmäßig Augentropfen, damit ihr Augapfel nicht austrocknet.

 

 

Wenn sich den feuchten Waschlappen auf die Augen legt, ist es auch eine Erleichterung, nicht nur wegen der Feuchtigkeit, sondern auch wegen der Abkühlung, sie schwitzt nämlich nicht mehr, und dass, obwohl sich das Land nach den ganzem Hochwasser in den letzten Jahren, mitten in einer irren Hitzewelle befindet. Und diese hält an.

 

 

Lilly sieht die Sonne und den Sommerhimmel immer nur durch das normal große Fenster ihres Patientenzimmers, stellt anhand der Kleidung ihrer Besucher fest, dass es elend heiß sein muss. Ein Jahrhundert-Sommer also. Je nachdem, wie die Stimmung unter den Pflegerinnen ist, und ob sie Speiseeis konsumieren, kann Lilly die Temperaturen voraussagen.

 

 

Ihre Kinder kommen nach dem Schul- und Badetag zu ihr. Natürlich, will sie erstens nicht, dass sie dieses Elend mit ansehen müssen und sich Sorgen machen, zweitens sollen sie sich auf keinen Fall an diesen jämmerlichen Anblick ihrer Mutter in diesem weißen Kittel gewöhnen und wie sie hier hilflos im Bett liegt.

 

 

Sie lässt sich eines der Fotos von ihren Kindern aus ihrem Filofax heraussuchen, steckt dieses an die Stange neben ihr. Weniger, um sich selbst aufzuheitern, denn so schlimm, wie Angehörige und Personal denken, ist die ganze Sache auch wieder nicht. Innerlich ändert sich nichts. Eher, um klarzustellen für jeden, der an ihr Bett kommt, dass es keinen Grund gibt, sie zu bedauern, da sie schon einen großen, inneren Schatz besitzt.