einwilligungs-Erklärung

 

 

Sie liest enorm viel. Die Dame in der Klinik-Bibliothek begrüßt sie jedes Mal noch freundlicher und legt oft schon die passenden Bücher zur Seite, die sie eben erst zurückbekommen hat und gar nicht ins Regal einsortiert, weil sie denkt, das könnte etwas Interessantes für Lilly sein.

 

 

Die Schwestern, die die Bücher rauf und runtertragen müssen, sind weniger begeistert und lachen schnippisch beim Frühstück-servieren an dem einen Tag, an dem die Bücherei zu hat und Lilly vor geschlossenen Türen steht. So hat sie Zeit, nochmal in Ruhe die Stellen im schlauen Mediziner-Buch durchzudenken, die sie gerade betreffen, um nicht bei der Psychologin, die eine Etage höher ihren Behandlungsraum hat, da zu stehen, als wäre ihr das tatsächlich alles so egal, wie es ihr wirklich ist.

 

 

Sie war und ist bis in die letzte Haarspitze nur darauf neugierig, wie es im August draußen aussehen wird, dass sie diesen Aufenthalt höchstens als längere Reise verbucht, die sowieso fällig gewesen wäre. Lilly bemerkt, dass dieses Ausblenden-Können allen Übels, mit viel Vorfreude auf das was kommt, bei manchen Medizinern und Schwestern, vor allem den psychologisch geschulten, zu Verwirrung führt.

 

 

Diese wollen etwas Negatives in die positive Eigenschaft der Gleichgültigkeit hineininterpretieren, um sich nicht nur als steifer, angenagelter Zaunpfahl zu fühlen, den Lilly in ihrem vorabeirasenden Inter-City nicht mal mit Ignoranz streift.

 

 

Die Klinische Psychologin macht jetzt auf besonders schlau, spricht von Manisch-Depressiv, weil irgendetwas auf ihren leeren, weißen Zetteln stehen muss und ihr nichts Besseres einfällt. Damit meint sie Lillys große Freude, wenn sie wieder einen Schritt nach vorne in ihrer Entwicklung macht, das Glücksgefühl, dass sie hat, wenn sie Besuch bekommt, den Spaß und die kleinen Jokes mit dem Personal, ihr Kurz-Witze-Repertoire, und abwechselnd dazu die stillen Schlafphasen.

 

 

Lilly greift zu ihren Befunden und sucht nach den aufgezählten Diagnosen und Fachwörtern. "Langweilig.", stellt sie fest. Sie findet eine Dokumentierte Patientenaufklärung zum Aufklärungsgespräch: Lumbalpunktion - Entnahme von Nervenflüssigkeit aus dem Wirbelkanal, die sie in den ersten Tagen noch unterschrieben hat. Sie findet keine Einwilligungsblätter zur Behandlung mit Plasmaspenden, zur Behandlung mit Apharese, zur Behandlung mit künstlichem Tiefschlaf und künstlicher Beatmung. Die Aufklärung/Einwilligung zur Perkutanen Dilatations-Tracheotomie liegt zwar vor ihr, aber ohne Unterschrift.

 

 

Sie stellt fest, dass für sie als geschiedene Frau, alle und niemand zuständig ist. Es kommt die ganze Familie, ihre Sprösslinge, aber im Prinzip ist die Ärzteschaft allein gelassen. Eigentlich bleiben alle Sorgen nun an ihren leiblichen Eltern und den erwachsenen Kindern hängen. Lilly fühlt sich schlecht, weil sie zur Belastung für diese Personen wird, und merkt, dass Leben retten wohl auch oft ohne Einwilligung geschieht.