"Und die Narkose?"

 

 

 

Vor Lilly sitzt die feurige Ergotherapeutin. An der Bettkante ohne Anhalten sitzend und davon schwer begeistert, soll die zu Therapierende nun mit ihren Fingerspitzen zu den Zehen greifen. "Hey, geht's noch?", verweigert Lilly diese gewagte Aktion. Ihr ist vom aufrechten Sitzen ohnehin schon schwindlig genug im Kopf. Sie versucht sich nach vorne zu beugen, stoppt aber sofort wieder aus Angst vorm Fallen.

 

 

Lilly soll noch einen weiteren Zentralversorgungs-Katheter in die Brust gestochen bekommen, weil der erste, aufgrund des langen Aufenthaltes auf der Intensiv-Station und vielen Blutwäschen verklebt und verstopft ist. Sie kann es nicht fassen - er kann einfach nicht aufhören. Ihr kommt es vor, als möchte sie der Oberarzt möglichst lange auf seiner Station festhalten.

 

 

Er hätte schon vor Tagen dieses Ding aus ihrem Hals ziehen können, dann wäre es auch nicht zur Lungenentzündung gekommen. Sie ist kritisch ihm gegenüber. "Na, er wird seine Gründe haben.", beruhigt sie sich immer wieder und konzentriert sich auf die 4-6 Wochen-Prognose.

 

 

"Wie soll das vor sich gehen? Will er mir in die Brust stechen und dann dieses buchgroße Plastikteil an mir annähen.?".  Als könne er ihre Gedanken hören, gibt er ihr eine Antwort: "Da schlafen sie.". "Noch eine Narkose. Ich hab dann genug an Drogen konsumiert für den Rest meines Lebens.". Tatsächlich ist es so, dass sie sehr wach ist, als er ihr den rechten Teil des Oberkörpers und die Schulter mit einer rostbraunen, stinkenden Flüssigkeit anschüttet. "Hat er was vergessen?". Die Krankenschwester geht aus dem Zimmer.

 

 

Schwupp - bekommt Lilly ein großes, grünes Tuch über Oberkörper und Gesicht geworfen, mit einer kleinen Öffnung in Brusthöhe. Sie ist derart verkabelt, angehängt und fixiert, dass sie sich nicht bemerkbar machen kann. Sie hört, wie er mit wem spricht, während er herumkramt: "20 ml". Er nimmt Maß mit Daumen und Zeigefinger. Zweimal. Es scheint, als suche er einen gewissen Punkt. Er hat ihn gefunden. Stich. Tief in die Brust, fühlt sich an wie eine Stricknadel. Rausziehen. Stich. Rausziehen. Stich.

 

 

Sie glaubt, das Ding kommt gleich am Rücken wieder raus. Irgendwas fädelt er ein, schiebt etwas in ihre Brust, zieht es wieder raus, wieder rein.... als wolle er sie am Bett festschrauben. "Boah, wenn er die Plastikplatte jetzt auch noch annäht?". Sie wartet. "Macht er schon?". Sie sieht nichts, hört nichts. Wartet. Der Arzt lässt ab. Es wird kühl in ihrer rechten Schulter. Alles scheint zu funktionieren beim Zulauftest. "Den kleben wir an.", hört Lilly seine Stimme.

 

 

"Na, willst du ihn nicht annähen?". Sie wartet auf feine Piks- und Zieh-Schmerzen und rechnet: "7 künstliche Zugänge von den Handgelenken bis zum Kehlkopf, doch nur ein künstlicher Ausgang?". Lilly hört, wie er geht. Die Schwester kommt näher und räumt auf, was er nicht schon selbst weggeräumt hat. Sie nimmt das Tuch ab, reißt ihre Augen auf, als sie mich wach sieht. Ihre Wangen werden rot. "Jetzt waren sie aber tapfer.".