blut-waschmaschine

 

 

 

Auf ihren eigenen Wunsch hin, soll sie hier nur von weiblichen Krankenschwestern gepflegt werden, und erfreulicherweise wird dies auch respektiert und sich darangehalten. Pfleger sind zwar kräftiger, aber sie vertraut den Damen in ihrer gerade hilflosesten Lebensphase als GBS-Patientin mehr und wünscht sich ein Neutron Intimsphäre und Würde zu behalten.

 

 

Die Blutwäscherin macht ihre Sache gut - sagt man. "Der Tag, an dem ich sie nicht mehr sehe, wird der schönste Tag in meinem neuen Leben.", sagt Lilly. Ihre gerade, weiße Zahnreihe und das ebenmäßige Gesicht, gerahmt von gesundem, braunem, mittellangem Haupthaar, passt zur schmalen Figur. Von allen Krankenschwestern, die Lilly bisher gesehen hat, passt ihr die weiße Arbeitskluft am besten. Sie kombiniert ihre schmal geschnittene Hose stets mit flachen Schuhen, einem blauen Oberteil und einer Weste mit langen Ärmeln.

 

 

Würde diese Dunkelhaarige plötzlich die Maschine abstellen und nach Hause gehen, weil sie einfach die Nachtdienste satt hat und beschließt, ihr Leben zu ändern, würde Lilly ungesehen und abgeschnitten von einem Teil ihres Ichs, welches sich gerade in Form ihres roten Lebenssaft in der Blutmaschine befindet, schnell auf 32 Grad abkühlen und unbemerkt versterben.

 

 

Damit alle ihre Nerven behalten und ihre Arbeit gut machen, beschließt Lilly ruhigzuhalten und sich eher auf die einfachen Ping-Pong-Dialoge in der Sit-Com zu konzentrieren. Sie stellt sich die Sendung ohne eingespielte Lacher vor oder die Schauspieler ohne Kleidung und übersteht so die vielen Blutwäsche-Nächte, zu denen sie genauso verdammt ist, wie die Darsteller neun lange Jahre in einer Serie zu spielen, die keine Aussage hat.

 

 

Der erste Apharese-Zyklus (5x) brachte noch nicht den gewünschten Erfolg und der Internist kann nicht aufhören, obwohl er schon in gefährlichem Gebirgswasser den steilen Hang runterpaddelt, denn wäre sie imstande, sich bemerkbar zu machen, ohne diesen Atem-Hahn im Hals, würde sie dieser Qual nicht zustimmen - er verordnet noch weitere fünf Behandlungen. 

 

 

Eigenartigerweise tut Lilly noch nichts weh, obwohl sie schon Wochen am Rücken liegt. Sie fragt sich, ob die aufliegende Stelle am Hinterkopf schon kahl ist. Dieser Kopf ist neuerdings nicht mehr ganz so überflüssig, wie ein am Gartenzaun aufgespießter, geplatzter Lederfußball, denn gelegentlich bekommt sie einen Trinkhalm zwischen die Lippen gesteckt, an dem sie ein wenig saugen soll. "Hmmm, sogar mit Geschmack.", freut sich die Patientin unglaublich über den halben Tropfen Kamillentee, den sie, nachdem ihr der andere halbe Tropfen wieder in den Halm zurück ins Glas gelaufen ist, auf der Zunge schmeckt.

 

 

Sie nimmt diesen Trinkhalm immer ganz rechts in den Mund und verschließt mit den Fingerspitzen die Lippen rund um den Halm. Meist tropft ihr dann die Flüssigkeit aus den Mundwinkeln, doch jeder Milliliter Tee in ihrem Mund ist ein Geschenk der Götter. Mit jedem Tropfen fühlt sie sich lebendiger.