zusammengeknickt

 

Lilly denkt an den Mann an der Haltestelle, der vor ihr umgefallen ist und nicht wollte, dass man ihm aufhilft. Sie ging schnell weiter, damit sie nicht in seine Matrix gerät. Genauso geht es wahrscheinlich den Personen um sie herum - außer den beiden Punks, Rockern, Grufties - jedenfalls in schwarze Mäntel gekleideten Personen, die ihren 55 Kilo schweren Körpersack jetzt hochgehieft haben und probeweise den Griff locker lassen, um zu testen, ob Lilly stehen bleibt, oder wieder umknickt.

 

 

Es ist ihnen gelungen, die Knochen so auszutarieren, dass sich das Gebilde tatsächlich aufrecht hält wie ein Stelzenläufer. Sie betrachtet ihr linkes Fußgelenk in der spiegelnden Auslage. "Das sieht elend aus.", ihr müsste übel werden, tut es aber nicht. Sie sieht es einfach nur. Reaktion gibt es keine.

 

Aufgrund der geröteten Schwellung würde man im Kopf den Schluss ziehen, es ist gebrochen oder ein Band gerissen und der Geist sofort eine Meldung an die Nerven schicken, sie sollen ein Schmerzgefühl auslösen, um den Menschen daran zu hindern, die Stelle weiter zu belasten. Dies alles erfolgt nicht. Lilly sieht einfach nur, dass es rot und dick ist.

 

 

"Sollen wir sie wohin bringen?", fragen die Beiden hilfsbereit. "Die glauben wahrscheinlich, ich bin zu betrunken, um mich aufrecht zu halten.", hält Lilly kurz inne und ergreift die Möglichkeit, doch nicht mit der Ambulanz abgeholt und in den ersten Stock gebracht zu werden. Sie tragen sie mehr oder weniger, indem sie Lillys Oberarmknochen auf ihren angewinkelten Unterarmen positionieren und sie halb schwingend mit dem Lift nach oben fahren, dann auf einen Korbstuhl im Café absetzen. Sie lächelt ein wenig. Mehr kann sie nicht tun. Die beiden gehen wieder.

 

 

Sie guckt auf die Armbanduhr und stellt fest, dass dieser zukünftige Arbeitgeber wohl schon weg ist, mitsamt seinem Dienstvertrag, den sie durchlesen sollte. Wie ein Geistesblitz durchzieht sie die Erinnerung an ihren Ausspruch nach dem Verlassen der Office-Räume, durch die sie derjenige den Tag zuvor stolz geführt hat und ihr ihren zukünftigen Arbeitsplatz präsentierte, an dem sie dann zukünftig 8 Stunden ihres Tages indoor, also stationär, verbringen müsste: Sollte ich so blöd sein und mich selbst hier stationär mit meiner Unterschrift einzuweisen, muss ich vorher ganzkörpergelähmt sein.

 

 

"Autsch!", der Schreck steht ihr ins Gesicht geschrieben. Sie würde am liebsten aufspringen und weglaufen. "Was tu ich hier? Ich unterschreibe gar nichts!". Sie hebt ihr Gesäß mit den Armen auf die Seitenlehnen gestützt hoch, stellt zuerst ihre Beine gerade auf und hebt dann den Oberkörper hoch, versucht auszubalancierend mit winzigen, dahingezogenen Schritten bis zum Lift zu kommen. Ein Stück weit, gelingt ihr dies.

 

 

Als sie vom Lift aussteigen will, kommt sie nur noch bis zur Glasbrüstung, wo sie ihren Körper hin lehnt. "Können wir ihnen helfen?", fragen zwei nette, junge Damen und warten, bevor sie unterstützend an die Oberarme greifen.