1001 Apharese-zyklen

 

 

 

Zehnmal extrakorporale Behandlung des Blutsaftes. Sie wartet lange, sehr lange. Seit 17.00 Uhr nachmittags sind Stunden vergangen. "Was ist Zeit?", während sie wartet, hat sie beschlossen zu testen, wie lange sie die Lider offenhalten kann, ohne dem neuen Zwinker-Impuls reflexartig oder mechanisch nachgeholfen nachzugeben. Sie kommt spät -die Dunkelhaarige - erst gegen Mitternacht. Der Versorgungskatheter aus Plastik mit vielen Zu-, Ein- und Ausgängen und Verzweigungen ist verklebt. Die Blut-Wasch-Maschine stoppt alle 2 Minuten.

 

 

Die Frau mit dem Cornetto in der Hand und dem braungebrannten Teint - es scheint tatsächlich ein Jahrhundert-Sommer zu sein - ist angestrengt damit beschäftigt, dieses ratternde, große Ding neben ihr in Intervallen von etwa 5, dann mal 20 Minuten anzuwerfen und Lilly zum absoluten Ruhigliegen anzuhalten, da die kleinste Bewegung das Blut hindert, aus ihr raus und dann ordentlich wieder in sie rein zu fließen.

 

 

Nachdem ihr kalt wird, befindet sie sich mehr außerhalb als in ihr. Wie ein Zwilling, der eine tobt in der Wasch-Maschine herum, der andere liegt ihm Bett. Lilly bemerkt: "Alles was sie in mich reinpumpen, kann nicht so schlimm sein, wie die Machtlosigkeit, wenn sie einem lebendigen Körperinhalt rauspumpen.". Der Wunsch nachzugreifen und zurückzuhalten, was ihr gehört, ist massivst vorhanden. Sie hat das Gefühl ständig Millionen an einzelnen, winzigen Blutbestandteilen nach ihrer Mama rufen zu hören, als wären es kleine, gutgläubige, froh-gesichtige Spermien, die merken, das sie an eine fruchtlose Gummiwand prallen werden. "Das hängt also zusammen. Blut und Kinder.", stellt sie für sich fest.

 

 

Das Gerät scheint jedenfalls nicht mehr das neueste zu sein, ihr Zentral-Katheter auch nicht mehr, denn sie trägt den schon die dritte Woche, wie einen Orden an ihrer linken angenäht. Sie stellt in dieser Nacht den absoluten Rekord im Augen-Offen-Halten auf:

 

 

Von 17.00 Uhr Nachmittag bis 6.00 morgens, genaugenommen von der ersten "How I met your Mother"-Sendung, die hier in Dauerschleife die ganze Nacht durchgespielt wird (mit Wiederholung nach drei Stunden), bis zum Frühstücks-Fernsehen. Die Stimmungskulisse mit herzlichem Lachen und Applaus hält ihr Gute-Laune-Level oben, während ihr Körper ausgepumpt, wieder angefüllt, aufgeschnitten, gestochen, angezapft und zugeklebt, untersucht, abgehört, flüssig ernährt und ausgelassen wird.

 

 

Sie starrt, trotz aller Warnungen der Ärzte, bezüglich Schädigung der Linse und merkt, dass sie wieder Lust auf Frechsein und Rebellieren hat, obwohl sie das Gefühl hat, dass sie mit anderen Augen aufgewacht ist, als eingeschlafen. Sie hat wieder Lust auf Eindrücke, verschlingt ihr Umfeld förmlich, saugt neue Impulse mit ungewöhnlichem Appetit auf.

 

 

28 Euro gibt es pro Apharese-Behandlung für die Ausführende als Bonus hat sie gehört, als ein männlicher Pfleger im Morgendienst über den Gang zu seiner Kollegin am anderen Ende spricht.