atem-intervention

 

 

Große Aufregung. Sie wird zugedeckt, die Tasche ans Fußende des Rollbettes gepackt, die Bettverkabelung wird gelöst... raus aus der Tür. Lifttür auf - 2. Stock! Schiebetür auf. Gitterbett rein. Lilly hat keine Ahnung, was abgeht. Scheinbar wird sie aber erwartet. Schiebetür zu.

 

 

Hier weht ein anderer Wind. Aufregung liegt in der dünnen Luft. Das fängt bei der blauen Oberbekleidung an und hört bei den Monitoring-Geräuschen noch lange nicht auf. Alles ist hektischer, gespannt, schneller, so eilig, als ginge es jede Sekunde um Leben und Tod, dafür lautloses Personal - jeder Handgriff sitzt. Kein Wenn und Aber.

 

 

"Willkommen auf der Intensiv-Station!". Ein Krankenbruder begrüßt mich mit seltsamer Mischung aus neckischem Schalk und beruhigenden Worten, als hätte ich etwas zu befürchten. "Warum mag ich dich nicht?", fragt sich Lilly mit letzten Urinstinkten. Denken ist das keins mehr, es reagiert in ihr vom Innersten aus, als wäre um die Wirbelsäule nur noch ein tischtennisgroßer Klumpen Schaltzentrale übrig, analog, wie bei einem Wecker aus dem vorigen Jahrhundert.

 

 

Sie hat keine Ahnung, um was es jetzt wieder geht, so oft, wie ihr Bett mit ihr drinnen umgestellt wurde. Ihre verbliebenen Instinkte gleichen nun dem eines urzeitlichen Reptils. Es geht um Farben und Bewegungen. Sie hat keine Lust zu seinem Erlebnis des Tages auf der intensivmedizinischen Schlachtbank zu werden. Sie sieht eine Klamauk-Figur in einem historischen Film übers tiefste Mittelalter á la Braveheart oder dem aztekischen Apokalypse-Gemetzel. "Nehmt ihr mich jetzt auseinander? Zieht ihr mir das Blut aus dem Körper?

 

 

Endlich naht der Höhepunkt der Krankheit - die totale Lähmung - und ich bekomme das jetzt womöglich gar nicht mit?". Irgendwo jagt ihr wer eine Infusion in den Korpus, die sie willenlos macht, obwohl sie ja schlecht aufstehen und weglaufen könnte. Sie hat keine Empfindungen und würde nicht mal spüren, wenn ihr der Bauch der Länge nach aufgeschnitten wird. An ihren Handgelenken macht sich wer zu schaffen.

 

 

Lilly sieht den roten Saft in gar nicht mal so feinen, rhythmischen Stößen rauspulsieren. Des Unsympathischen Gesicht, seinen Oberkörper, seine beiden Hände sieht sie plötzlich von hinten über ihrem Kopf - da sich das Bett kopfseits leicht nach unten fährt -  mit eigenartigen, langen, spießartigen Instrumenten und einer Art Schlauch oder Rohr neben anderen, emsig beschäftigten Gestalten um sie herum. Ihr Kopf wird nach hinten gezogen, sie blickt in sein lachendes Antlitz und hört noch seine Worte:

 

 

"Wir sehen uns im Jenseits.", bevor ihr Unterkiefer vom oberen Teil des Kopfes weggedrückt wird und sich das Instrument in ihren Rachen schiebt. Lilly verliert die Sehkraft. Die Jalousien sind runter. Dunkel. "Sie unterhalten sich.", stellt sie noch fest, eigenartig gelassen und gespannt zugleich, abwartend, ob sich die Aussicht wieder öffnet. "Hör ich jetzt auch nichts mehr?". Ihr letzter Sinn hat sich nun verabschiedet. Sendepause.