flimmerkasten & beatmungsmaschine

 

 

Nach der langen Zeit, ohne feste Nahrung, möchte sie ihr ganzes Gesicht in Essen baden, es wie eine Schlamm-Maske auf ihrem ganzen Körper verteilen, damit sich die Poren direkt mit Schnitzel, Kartoffelpüree, kräftiger Hühnersuppe vollsaugen können. Sie würde gerne in eine Badewanne randvoll mit Püree aus Früchten, Gemüse, Fleisch und Kartoffeln wälzen, mit offenem Mund. Statt dessen sitzt sie aber in diesem Sessel, saugt an einem Trinkhalm, bewegt ihren Kopf kaum, weil etwas Sperriges in ihrem Hals den Bewegungsradius einschränkt. Die Finger greifen plötzlich unerwartet zum großen Löffel.

 

 

"Aha? Was ist da los?". Ihr Mund öffnet sich auch wieder. Der Löffelgriff verrutscht nicht mehr zwischen ihren Fingern. Sie lädt immer größere Portionen darauf. "Sind das etwa Schinkenstreifen in diesem Knödel?". Ihre Finger greifen plötzlich nach Messer und Gabel. Sie nimmt die Hürde. "Jaaaa. Endlich. Komm schon. Iss. Ich will raus hier.". Sie bemüht sich konzentriert, sich bloß nicht zu verschlucken. Das lästige Ding im Hals nervt schon so. Sie hasst das Teil und straft es mit Nichtbeachtung, seit sie es das erste Mal ertastet hat.

 

 

Sie kann den Tag der Befreiung nicht mehr erwarten. Sie hat noch nie weiter drüber nachgedacht, wie das überhaupt da hinkam und wer diesen Schlauch in ihren Hals gesteckt hat. "Wahrscheinlich er.", sie hat diesen Oberarzt vor ihrem geistigen Auge. Wegen ihm übt sie sich in Guter Führung, pflegt die Hoffnung, früher entlassen zu werden von seiner Station. Sie weiß genau, wo es rausgeht: links neben ihrem Zimmer ist die Schiebetür.

 

 

Die aggressionsfreie Kommunikation der Schwester, die sicher eine Woche, vielleicht auch zwei regelmäßig an ihr beschäftigt ist, empfindet Lilly als sehr angenehm. Ihre Stimme scheint zuerst den Raum zu betreten, bevor sie ihren fragilen Körper reinschweben lässt, mit weichen Schritten. Sie nähert sich immer umsichtig dem Bett, in dem Lilly gelagert wird. Sie spricht darüber, bevor sie etwas tut. Nachdem sie einen Meter ans Bett kommt, hält sie inne und redet direkt mit Lilly. Sie greift niemals her, bevor sie nicht diesen bewusst langsamen Annäherungsprozess abgespult hat.

 

 

Erst beim Schwestern-Wechsel fällt auf, wie sehr sich Lilly an dieses behutsame In-Kontakt-Treten gewohnt hat. Schön langsam macht sie sich Gedanken darüber, warum die Entfernung dieses Hals-Dingens so lange auf sich warten lässt - beim Reinstecken ging es Ruck-Zuck. Die vorgeschobenen Erklärungen ihres Oberarztes interessieren sie nicht. Sie ist enttäuscht und will ihn nicht mehr sehen. Außerdem gibt er zu viel von sich preis - dafür hat sie nichts übrig. Sie möchte selbst atmen und diese Apharese-Zyklen hängen ihr zum Hals raus. Und erst das Stimm-Ersatz-Gerät, dass er ihr da an den Hals gehalten hat.

 

 

Inzwischen ist Lilly schon sehr lange allein in diesen Raum gesperrt. Naja, sie ist nicht ganz alleine, da sind noch die ganzen Figuren im Flimmerkasten und ihre Freundin, die Atemmaschine.